Die AllerFrauen

FastenzeitPlus

Leseprobe


 

Hanna und Luise hatten die Briefe der Wohnungsbewerber vor sich liegen. Die meisten Anschreiben waren, wie Nils es vorhergesagt hatte, per E-Mail bei der Zeitung eingetroffen. Aber ein paar wenige Schreiben waren auch persönlich abgegeben worden. Hanna war nicht auf Nils getroffen, als sie ihre Post abgeholt hatte. Obwohl sie nach ihm Ausschau gehalten hatte, konnte sie ihn nirgends entdecken. Nach Herrn Ludewig zu fragen, das kam für Hanna nicht in Betracht. Sie hätte nicht gewusst, wie sie sich ihm gegenüber hätte verhalten sollen. Aber hatte er sie vielleicht kommen sehen? Durch eines der vielen Fenster in der Redaktion wäre es sicherlich möglich gewesen. Vielleicht wollte er ihr nicht begegnen und hatte sich deshalb nicht zu erkennen gegeben. Wie auch immer. Hanna hatte die Redaktion verlassen, ohne mit ihm gesprochen zu haben.
Jetzt saßen Luise und Hanna am Küchentisch und lasen das erste Schreiben.
Liebe Wohnungseigentümer,
wir sind eine 8- köpfige Familie…
Hanna legte den Brief an die Seite. „Acht Personen? Hier in diesem Haus? Das geht doch gar nicht.“ Sie schüttelte den Kopf und griff zum nächsten.
Wir wünschen uns sehr eine Wohnung auf dem Land. Schon lange haben wir danach gesucht. Wenn sie damit einverstanden sind, dass wir die ersten drei Monate keine Miete zahlen, dann könnten wir sofort einziehen.
„Bin ich nicht! Was denken die sich?“ Hanna nahm das nächste Schreiben.
Meine Frau und ich sind sehr interessiert, daran ein Haus auf dem Land zu beziehen. Die Zahlung der Kaution und der monatlichen Miete ist kein Problem für uns. Wir sind beide berufstätig und lieben Tiere. Zu unserem Haushalt gehört ein Dackel. Falls sie uns als Mieter in Betracht ziehen würden, melden sie sich gern unter folgender Telefonnummer: 0130 22 44 665. Es grüßen Sie Heinz und Mathilde Reichenbach.
„Das klingt ganz nett. Die könnte ich anrufen“, sagte Hanna und legte den Brief ab, um sich dem nächsten zu widmen.
Nach Durchsicht aller Bewerbungen hatten Hanna und Luise sich für drei Parteien entschieden, die in ihrer engeren Wahl waren. Einmal das Ehepaar Reichenbach, dann war da noch ein junges Pärchen namens Sidortschuk und eine Frau Heselbarth mit Vater und zwei Kindern.
Hanna rief als Erstes bei der Frau Heselbarth an. Aber Frau Heselbarth kam aus Celle und musste sich erst einmal um eine Busverbindung nach Langedingen kümmern, denn weder sie noch ihr Vater hatten einen Führerschein, geschweige denn ein Auto. Sie wollte sich wieder melden. Als Nächstes versuchte Hanna das Pärchen Sidortschuk zu anzurufen, sie konnte aber nur auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen. Einzig die Reichenbachs waren erreichbar und sie verabredeten sich für fünfzehn Uhr zur Besichtigung. Luise wünschte Hanna viel Erfolg und verabschiedete sich.
Hanna hatte Kaffee gekocht, während sie ungeduldig auf die Bewerber wartete. Endlich kamen sie. Sie waren in einer silbergrauen Limousine vorgefahren. Herr Reichenbach hielt seiner Frau die Autotür auf und sie stieg, mit einem Hund auf dem Arm, aus. Beide sahen sich um. Hanna konnte ihre Blicke nicht einordnen. Sie nahm an, dass sie versuchten, die Größe des Hauses und der Scheunen einzuschätzen. Mit dem Klingeln der Glocke öffnete Hanna ihnen die Tür. „Guten Tag! Herr und Frau Reichenbach, nehme ich an?“ Hanna versuchte zu lächeln, als sie in zwei stirnrunzelnde Gesichter blickte. Sie reichte ihnen die Hand zum Gruß, aber beide hielten ihre Hände hoch und er sagte: „Kein Körperkontakt bitte! Die Ansteckungsgefahr ist zu hoch.“ „Ach.“ Hanna erschrak. „Sind sie krank?“ „Nein, noch nicht. Aber man weiß ja nie, was andere so mit sich führen. Eine Übertragung durch Händeschütteln ist dann immer möglich.“ Frau Reichenbach stimmte ihrem Mann durch Kopfnicken zu.
Hanna schluckte. Das geht ja schon gut los, dachte sie und sagte laut: „Kommen sie doch erst einmal herein. Darf ich ihnen die Mäntel abnehmen? Ich habe uns auch einen Kaffee gekocht.“
„Oh, bitte keinen Kaffee. Dann kann ich heute Nacht nicht schlafen, verstehen sie?“ Frau Reichenbach winkte energisch ab. „Für meinen Mann auch nicht, wegen seinem Blutdruck. Haben Sie auch Roibuschtee?“
„Leider nein“, sagte Hanna. „Ich trinke keinen Tee und ich lebe allein hier.“
„Ach“, fiel Frau Reichenbach ihr schnell ins Wort und begutachtete sie auffällig von oben bis unten. „Sie haben keinen Mann? Das stand aber nicht in ihrer Anzeige.“
Warum hätte sie das in das Inserat schreiben sollen. Hanna versuchte, sich ihren Unmut nicht anmerken zu lassen. „Mein Mann ist vor zwei Jahren verstorben.“
„So? Verstorben ist er? Das tut mir leid für Sie.“ Frau Reichenbach schaute gar nicht aus, als würde ihr irgendetwas leidtun. Im Gegenteil sie stellte sich demonstrativ vor ihren Mann, als müsse sie ihn vor Hanna schützen. „Nun, aber ich hatte sie doch so verstanden, als würden Sie hier auf dem Hof auch weiterhin wohnen bleiben.“ Sie blickte mit schmalen Augen auf Hanna. „Heinz, dann ist das hier nichts für uns. Das schaffst du hier auch gar nicht allein. Komm, sag >Auf Wiedersehen<.“
Heinz war brav, wie das Hündchen auf Frau Reichenbachs Arm, und sagte zu Hanna: „Auf Wiedersehen.“
Beim Hinausgehen drehte sich Frau Reichenbach noch einmal zu Hanna um und sagte: „Wenn Sie auf der Suche nach einem Mann sind, dann müssen Sie es geschickter anstellen. Meinen bekommen Sie jedenfalls nicht.“